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Von der Pferdenärrin zur Sportlerin – Entwicklung ist ein Prozess

„Warst du schon immer so gut?“ fragte das Mädchen mich. In ihrer Stimme lag Anerkennung, Bewunderung. In ihrem Blick erkannte ich den Ehrgeiz und die Leidenschaft. Sie erinnerte mich an mich früher, in meinen ersten zehn Jahren als Reinerin: eine gute Reiterin, technisch talentiert, die einzige Erfolgsbremse war mein eigener Wille. Der Ehrgeiz bremste mich und die Leistung meiner Pferde oftmals aus. Obwohl ich meine Pferde über alles liebte, fehlte das Gefühl. Die Leichtigkeit, die Harmonie, der Fluss – das, was auch von aussen zu bemerken war …

Chance oder Fail?

Das Mädchen sah mich erwartungsvoll an, im Hintergrund lief laute Musik, ab und an war das Wiehern der Tiere zu hören. Die Prüfung war vorbei und wir standen am Rand der Reithalle auf dem sandigen Boden. In meiner Hand eine Buckle. Die junge Sportlerin hatte mich abgepasst, um mir diese Frage zu stellen und ich fühlte mich geschmeichelt, auch ein bisschen verlegen.

Ich erinnerte mich an die junge Adrienne, die unerfahrene, aber begeisterte Athletin – in Topform, mit viel Temperament und Fokus, aber auch viel Druck und Selbstzweifel. Und musste bei diesen Erinnerungen lachen: „Nein, natürlich nicht!“

Im Zeitraffer durchflog ich meine Kindheit: Als Vierjährige war ich selbst ein Pferd, mit sechs Jahren nahm ich auf dem Rücken meiner Lieblingstiere an den ersten Turnieren teil. Damals noch in kindlicher Leichtigkeit, spielerisch, voller Freude, aus reinem Spass. Zunächst auch nur national, in meinem Heimatland, der Schweiz.

Ich erinnere mich noch an ein Turnier im Pferdezentrum in Bern. Ich war zehn Jahre alt – und mit Abstand die jüngste Teilnehmerin. Alle anderen Reiter waren zwischen 15 und 18. „Da hab ich ja gar keine Chance …“ beschwerte ich mich bei meiner Familie. Aber ich hatte Spass auf den Wettkämpfen, auch als jüngste und kleinste Reiterin. Die anderen Reiter akzeptierten mich immer, ich glaube, ich war schon immer ein recht umgänglicher Typ. „Herzig,“ nannten sie mich, wenn ich da als Küken inmitten der Grossen, der älteren Reiter stand und irgendwie gefiel mir das auch. Ich fühlte mich wohl, wir hatten eine gute Zeit. Und noch keinen Plan, was wir da eigentlich taten. Ich zumindest nicht.

Die Kunst des Loslassens

Ambitionen, das Feuer, den Siegeshunger entwickelte ich erst als Teenagerin. Mit 13 Jahren nahm ich das erste Mal am Youth World Cup teil. Ich ritt Turniere in allen möglichen Disziplinen des Westernreitens: Trail, Pleasure, Horsemanship, Showmanship, Western Riding, Cutting. Mit 16 Jahren spezialisierte ich mich dann voll und ganz aufs Reining. Mich faszinierte schon damals diese Leichtigkeit. Das Spiel von körperlicher Anspannung und Entspannung. Die Gleichzeitigkeit vom kontrollierten Führen und dem vertrauensvollen Loslassen.

Ich schulte mein Körperbewusstsein, lernte, das Pferd zu kontrollieren. Durch die Kombination aus meinem sportlichen Ehrgeiz und dem Kampfgeist rutschte ich in dieser Phase oft zu stark in die Kontrolle. Du erinnerst dich vielleicht an die Mahnung des Mannes, der mich nach einer Prüfung in der Reithalle vom Pferd herunterholte, als ich versuchte, meinen Plan doch noch durchzusetzen, mit Scheuklappen vor den Augen, hart und ohne Rücksicht auf das Tier: „Hey, jetzt ist es aber mal gut, oder?“

All diese Erinnerungen kamen in mir hoch, als die junge Reiterin mich ansprach. Und aus diesen Gedanken heraus antwortete ich: „Nein, natürlich nicht. Es ist ein Prozess.“

Ich habe mich länger mit dieser Reiterin unterhalten, weil ich den Austausch mit anderen Athleten generell schätze und weil ich selbst weiss, wie wertvoll inspirierende Erfahrungen von erfahreneren Reitern, Trainern, Profis sind.

Aber wenn ich nur die wichtigste Botschaft vermitteln dürfte, dann hätte ich diesem Mädchen dasselbe empfohlen, was ich dir empfehle: Respektiere, vertraue und sei fair …

Deine Adrienne

P.S.: Das ist ein Auszug aus meinem Buch, „Das Geheimnis wahrer Reitkunst“.

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